Aktuelles

 

Auszüge aus Inseljahre

 

 

 

2 Das vergessene Haus

 

 

Als ich zum ersten Mal auf die Insel kam, verstaubte dort bereits in jedem Wohnzimmer ein Videorecorder. Selbst in den abgelegensten Spelunken, die meist an verlassene Bahnhofshallen erinnerten, blinkten neben Fernsehern, die jedes Gespräch im Keim erstickten, grelle Spielautomaten, die, ohne dass jemand sie berührt hätte  alle fünf Minuten ein Liedchen dudelten, um gewissermaßen auf sich aufmerksam zu machen. Um so erstaunlicher war der Umstand, daß es auf der gesamten Insel nicht eine einzige Verkehrsampel gab. Diese Tatsache allerdings drang erst Jahre später wirklich in mein Bewußtsein, nämlich just in dem Moment, als unter großem öffentlichem Palaver über das für und wieder das erste Exemplar dieser Art an der großen Durchgangsstraße in der Stadt installiert werden sollte. Bei meinem ersten Besuch war ich genau 30 Jahre alt, frischgebackene Mutter und zwar eine von der Sorte die, das Kind im indischen Tragetuch vor den Bauch geschnallt , der ganzen Welt beweisen wollte, daß Kinder haben auf keinen Fall bedeutete, bürgerlich und normal zu werden. Es war im Januar des Jahres 1986. Jan, mein Lebenspartner und  Kindsvater hatte schon im vorangegangenen Jahr großen Elan an den Tag gelegt, mit mir , im achten Monat schwanger, ausgedehnte Bergwanderungen auf der Nachbarinsel zu unternehmen. Tiefe Schluchten und idyllische Bergdörfer wurden von uns auf steinigen Guanchen pfaden per Pedes erkundet. Eine Schwangerschaft sei ja schließlich keine Krankheit ! Als friesischer Bauernsohn aufgewachsen hatte er alljährlich Schwangerschaft und Geburt bei unzähligen Kühen studieren , und als etwas Natürliches und Selbstverständliches hinzunehmen gelernt. Warum sollte ich, seine Frau, weniger auszuhalten im Stande  sein als die gemeine friesische Kuh. Im Grunde kam mir diese Einstellung sogar entgegen. Unkonventionell und geprägt von meiner Jugend im Zeitalter der Spätachtundsechziger, und darüberhinaus auch noch unter dem Sternzeichen des kämpferischen Widder geboren, setzte ich all meinen sportlichen Ehrgeiz daran, alles anders zu machen als die anderen. Verächtlich sah ich auf all die zarten, femininen , hilflosen Wesen herab, die offensichtlich unfähig waren, etwas so selbstverständliches wie eine Geburt auf natürliche Weise zu erledigen. Mit Wehenhemmern oder Wehenstimulantien , Kaiserschnitten oder gar Rückenmarksblockaden blockierten sie stundenlang die Kreißsäle mit ihrem Geschrei und danach mutierten sie  monatelang zur Regeneration ihrer geschundenen Organismen zu einem neuen Geschöpf : dem schonungsbedürftigen heiligen Muttertier. Exact zwei Stunden nach der Entbindung war ich von der Liege aufgestanden und hatte fassungslos den plötzlich wieder flachen, wenn auch etwas ausgeleierten  Bauch unter der heißen Dusche betrachtet. Dann hatten wir das winzige Wesen in  die viel zu großen, selbstgestrickten Anzüge gepackt und waren in unserem betagten, etwas klapprigen Taxi nach Hause gefahren.

Acht Monate später landeten wir in Begleitung von Brigitte, einer Bekannten, die als alleinerziehende Mutter mit ihrer ein-einhalbjährigen Tochter auf der großen Nachbarinsel lebte, in diesem kleinen Paradies. Wir waren auf der Suche nach einem Ort, an dem die Welt noch in Ordnung und das Leben noch lebenswert war.

Aus Sparsamkeitsgründen  mieteten wir  uns einen Fiat Panda. Das Gepäck wurde im Kofferraum, die Kinderbuggys auf dem Beifahrersitz verstaut und wir beiden Mütter samt dazugehörigem Kind auf dem Schoss quetschten uns  auf die enge Rück Bank . Eine harte ungepolsterte  Stange  drohte uns bei jedem Schlagloch das Rückgrat zu brechen. Alle Straßen bestanden damals praktisch nur aus Schlaglöchern. Auf diese Weise vollbrachten wir die beachtliche körperliche sowie nervliche Leistung, innerhalb einer Woche fast die gesamte Insel im wahrsten Sinne des Wortes abzuklappern. Etwa 4 Kilometer gerade Strecke gab es auf dem ganzen Eiland, der Rest bestand ausschließlich aus Serpentinen, die sich schier endlos die steilen Berge hinauf - und hinunterwanden. Beseelt von der Freude, eine neue Welt zu entdecken, saß Jan am Steuer des Panda. Von Kilometer zu Kilometer faßte er mehr Mut, es mit den sportlichen Fahrkünsten und den kühnen Kurventechniken der Einheimischen aufzunehmen, während wir Frauen auf dem Rücksitz, mit quengelnden Kindern, durchgeweichten Windeln und grünlichen Gesichtern versuchten, den Naturschönheiten der Landschaft Tribut zu zollen.

Ich entdeckte ein Haus, das genau in unserem Dorf lag. Es hatte nur 300 qm Grundstück, dennoch beschlossen wir, aus Neugierde, es uns anzusehen.

Anscheinend machten wir auf den Makler nicht den Eindruck, kaufkräftige Kunden zu sein. Möglicherweise lag es an den ausgewaschenen Hosen, dem kurz zuvor von Marlen bekleckerten Sweatshirt und den ausgelatschten Turnschuhen, das Kind im Tragetuch trug wohl auch nicht zu meiner seriösen Ausstrahlung bei.. Der Makler unterbrach leicht genervt sein Telefongespräch, nahm einen Schluck Kaffee und schleuderte uns den Hausschlüssel mit einer wagen Wegbeschreibung quer über den Tisch. Also machten wir uns alleine auf den Weg. Vom Kirchplatz des Dorfes aus führte eine schmale Straße steil den Hang hinauf. An einem kleinen Eckladen, in dem mindestens 10 Frauen, alle in Gymnastikhosen und T-shirts am Tresen lungerten und tratschten, wies man uns den Weg weiter den Berg hinauf und fast hätte ich bedauert, nicht doch den Panda genommen zu haben, wenn ich mir auch nur annähernd hätte vorstellen können, diese Steigung mit einem Auto überhaupt von unten nach oben befahren zu können, ohne sich dabei nach hinten zu überschlagen. Im Zickzack begannen wir den Aufstieg, der Buggy wurde gezogen, an Schieben war bei der Steigung nicht zu denken, und man konnte förmlich spüren, wie sich 10 neugierige Augenpaare in unsere Rücken bohrten. An einer schmiedeeisernen Gittertür machten wir Halt, es war das letzte Haus in der Straße. Das Haus war unbewohnt, und das nicht erst seit gestern. Wir stiegen über ein niedriges Mäuerchen zuerst in einen verwilderten Garten. Zwei riesige Gummibäume standen auf dem winzigen Grundstück, die oberen Äste hatten längst das Dach des zweistöckigen Hauses erreicht, dazwischen wucherte undurchdringliches, dorniges Gestrüpp. Auf der Rückseite des Hauses entdeckten wir einen aufgebrochenen Fensterladen, der in der sanften Brise klapperte. Das Innere glich einem verlassenen Geisterhaus, es war stockdunkel. Nachdem wir ein paar Fensterläden geöffnet hatten, fiel genug Licht herein, um einen Korridor, eine enge dunkle Eßecke und Küche, zwei kleine, mit schweren spanischen Möbeln vollgestellte Zimmer und ein fensterloses Badezimmer zu erkennen. Am Ende des Korridors führte eine enge steile Treppe in das obere Stockwerk. Dort gab es nur noch ein Zimmer und eine Tür aufs Dach hinaus. Mit viel Mühe konnten wir sie öffnen und standen draußen auf dem Flachdach: Es war ein phantastischer Ausblick! Das ganze Dorf lag uns zu Füßen. Es schmiegte sich an die umliegenden Hänge, und immer wieder dazwischen lagen Bananenplantagen. Die steilen schroffen Abhänge waren mit viel Mühe terrassiert und auf jedem verfügbaren Quadratmeter waren Bananen gepflanzt. Die Blätter der Bananenpalmen raschelten sanft im Wind und in einiger Entfernung war die Sonne gerade dabei, im Atlantik zu versinken. Ein Hahn krähte.

 

Als wir die Treppe herunterkamen, stand vor der Gartentür eine etwa fünfzigjährige Frau. Sie hatte rötlich getönte Haare, grau-grüne Augen und war trotz ihrer unförmigen Figur elegant gekleidet. Sie lächelte verlegen und sagte etwas auf Spanisch, dabei deutete sie auf das Nachbarhaus. Ich verstand nicht ganz, was sie sagte und rief  nach Brigitte. Durch unsere Dolmetscherin erfuhren wir nun, daß sie die Nachbarin war und gesehen hatte, daß jemand ins Haus gegangen war. Besorgt hätte sie nur nachsehen wollen, ob alles in Ordnung sei. Ob sie uns denn irgendwie helfen könne? Es war offensichtlich, daß nur die Neugierde sie hergetrieben hatte. Wir seien nicht die neuen Besitzer, übersetzte Brigitte, wir würden das Haus lediglich besichtigen. Sie machte eine bedauernde Gebärde und ließ sich lang und breit darüber aus, wie schade es sei, daß alles so verkommen sei. Das Haus hätte einem deutschen Senor gehört, der aber nun seit vielen Jahren, genauere Angaben über die Anzahl der Jahre waren ihr nicht zu entlocken, nicht mehr dagewesen sei und das Haus seitdem leer stand. Sie schien sich gut auszukennen, und ging, ohne Punkt und Komma redend, mit uns durch die Räume und wies mit bedauerndem Gesichtsausdruck auf das eingedrückte Fenster in der Küche, durch welches offensichtlich irgendwelche Jugendliche, hier machte sie eine vage Geste in Richtung Dorf,  einstiegen, um hier ihre Orgien zu feiern. Als Beweis deutete sie triumphierend auf einige abgebrannte Kerzenstummel. Sie war höflich, ehrerbietig und hilfsbereit und aus ihrem ganzen Verhalten ließ sich immer wieder ablesen: zu Diensten! Wir überließen Liesel dem endlos dahinplätschernden Geplapper und schlenderten nochmals durch den völlig verwilderten Garten, der nach wie vor den großen Nachteil hatte, zu klein zu sein. Schließlich verabschiedeten wir uns und machten uns auf den Rückweg hinunter zum Dorf.

 

Als wir den Schlüssel zurückbrachten, schien der Makler gerade nichts zu tun zu haben, er gewährte uns großzügig eine kurze Audienz. Er lehnte sich weltmännisch in seinem Bürosessel zurück:

„Tja, der Erich Garde war damals einer der ersten Deutschen, die sich hier auf der Insel was gekauft haben. Ich erinnere mich noch ganz genau, denn ich habe ihm selber damals das Haus verkauft.“

„Wie lange ist das schon her?“

Er kratzte sich nachdenklich das schlecht rasierte Kinn:

„So circa 15 Jahre. Er hat es damals einem Spanier für einen Appel und ein Ei abgekauft. Der Garten war damals ganz kahl und ihm haben die großen Gummibäume so gut gefallen. Da hab ich ihm einen Zweig abgebrochen und in die Erde gesteckt. Ich glaube, er ist auch angewachsen. Und einen lila Bougainville hab ich ihm auch gepflanzt. Sind die eigentlich alle gut angewachsen?“

Nun dämmerte mir auch, wie lange er dieses Haus nicht mehr betreten hatte.

„Das Haus ist komplett überwuchert“ sagte ich.

„ Na toll, die geben einen schönen Schatten“ er strahlte.

...und kein Sonnenstrahl dringt mehr durch das Gestrüpp, dachte ich grimmig.

„ Ist denn das ein fester, endgültiger Preis?“ versuchte ich wieder auf das Geschäftliche zu kommen „ da muß ja eine ganze Menge dran gemacht werden...“

„Ich denke, der läßt da mit sich reden, das Problem ist nur... na ja ehrlich gesagt, wir haben ihn schon ein- zwei Mal angeschrieben, er hat aber nie geantwortet..... tja, um offen zu sein, ich weiß gar nicht, ob der noch lebt!“

„Na toll!“ konnte ich mir nicht verkneifen „und wie machen wir das jetzt?“

„ Hmmm wie machen wir...“ er runzelte nachdenklich die Stirn.

„ Haben sie denn seine Telefonnummer“ Jan verlor langsam die Geduld. Der Makler hatte offensichtlich in all den Jahren schon die Inselmenthalität angenommen.

„ Nein, also eine Telefonnummer habe ich nicht,...... aber ich hatte mal die Adresse...“ er begann in einer Schublade in einem heillosen Durcheinander von Papieren zu wühlen.

„ Na also!“ knurrte er zufrieden „ da haben wir ihn doch, Erich Garde, Platz am wilden Eber, Berlin!“

Er hielt mir stolz den Zettel hin: „versuchen Sie ihr Glück“

„Sie meinen, wir sollen selbst.....“

„Aber klar, das ist doch am Besten, sie kommen doch auch aus Berlin, soweit ich weiß war er mal Zahnarzt!“

„Bei den Formalitäten helfen Sie uns doch dann?“

„Das ist alles kein Problem, nun treiben Sie den Burschen erst mal auf und werden sich einig, alles Andere geht dann wie von selbst!“ Er erhob sich und streckte uns die Hand hin, die Audienz war beendet. Als wir wieder auf der Straße standen, sahen wir uns erst mal kopfschüttelnd an:

„Wofür bekommen diese Makler eigentlich immer ihre Provision?“

„Na das ist ja ein Chaot, eine total schräge Type...“

„..und hundert Prozent schwul!“  beendete ich den Satz.

„Meinst Du?“ Jan sah mich zweifelnd an

„ Er hat Dich die ganze Zeit über auffällig interessiert angesehen“

„ Vielleicht hast du recht, Mann, da hab ich ja auch mal Chancen!“

 

 

Zwei Tage später flogen wir zurück ins winterliche Berlin. Es war ein regelrechter Temperaturschock. Bei zwanzig Grad Plus stiegen wir ein und bei minus fünfzehn Grad warteten wir am Flughafen Tegel zehn Minuten auf unseren Abholer. Einer unserer Fahrer hatte sich netterweise angeboten. Wir waren zwar Unternehmer, aber der ganz anderen Art. Mit den meisten unserer Fahrer waren wir befreundet. Bei der wöchentlichen Abrechnung saßen sie Stunden um Stunden in unserem Wohnzimmer, tranken unzählige Kannen Darjeeling Tee aus ökologischem Anbau und an den Türen der klapprigen hundertdreiundzwanziger Taxen, fast alle hatten eine knappe halbe Million Kilometer auf dem Buckel,  prangte stolz die Greenpeace Werbung, während hinten der schwarze Dieselruß aus dem Auspuff qualmte.

 

Die folgenden trüben Wintermonate verbrachte ich als Hausfrau, Mutter und Unternehmersgattin mit buchhalterischer Nebentätigkeit in der noch nicht einmal ein Jahr zuvor bezogenen Vierzimmerwohnung.

Das Mobiliar bestand noch vorwiegend aus den zusammengewürfelten Relikten unserer jeweiligen Junggesellenzeit, also beispielsweise alten, bezogenen Matratzen als Sitzgruppe, selbstgebastelten Regalen und angestrichenen Weinkisten. Immerhin hatten wir uns aus zweiter Hand eine Spülmaschine angeschafft. Sie blieb lange Jahre mein einziger, treuer Helfer bei der Küchenarbeit. Vierzehn Tage vor Marlens Geburt hatten wir die geräumige Altbauwohnung bezogen nach einer Renovierungsaktion, bei der viele Freunde tatkräftig mitgeholfen hatten und ich stolz mit meinem recht bescheidenen Neun-Monate-Bauch  noch auf Leitern herumgeturnt war, um Wände zu weißeln. Sämtliche Fahrer hatten beim Umzug mitgeholfen. Selbstverständlich war da eine Dankesparty fällig. Also hatte ich unseren ebenfalls zweite Hand erworbenen Eßtisch ausgezogen und ein dreigängiges Menü für siebzehn Personen gezaubert. Den ganzen Tag war ich die drei Etagen hinauf- und hinuntergehetzt, vom Supermarkt zum Getränkehändler, dann hatte ich Stunden am Herd gestanden. Überall standen noch unausgepachte Kisten herum. Gegen halb drei Nachts sank ich mit geschwollenen Knöcheln und leicht beschwipst ins Bett. Ein merkwürdiges rhythmisches Klopfen  in meinem Bauch weckte mich so gegen fünf Uhr morgens. Ich versuchte, noch eine Stunde zu dösen, dann trieben mich aber die Unruhe und die Aufregung aus dem Bett. Natürlich war noch nichts für dieses Ereignis vorbereitet.

In hektischer Betriebsamkeit waren wir den ganzen Tag damit beschäftigt, dieser unerwartet eine Woche zu früh einsetzenden Naturgewalt Rechnung zu tragen: Windelkartons, Öltücher und eine Plasikbadewanne wurden buchstäblich in letzter Sekunde gekauft. Gegen achtzehn Uhr schleppten wir gemeinsam ein Kinderbett in die dritte Etage, jede halbe Treppe blieb ich japsend stehen und versuchte, die immer intensiver werdenden wehen zu „ veratmen“. Dann sank ich auf ein Sofa und konzentrierte mich auf meine Entspannungsübungen, während Jan  fachmännisch eine Wehenkurve anlegte. Als die wehen alle fünf Minuten kamen, fuhren wir ins Krankenhaus, vier stunden später war alles vorbei und in meinem Arm lag ein kleines Wesen, das mich mir großen Augen anblickte. Um nichts in der Welt hätte ich dieses Erlebnis missen wollen, oder es, benebelt durch Medikamente, oder Rückenmarksblockaden  halb verschlafen. Ein Kind zur Welt z u bringen, war ein Ereignis, das man zuvor in unzähligen Filmen gesehen hatte, die entscheidenden Momente jedoch, die sah man nie. Als Krankengymnastin hatte ich schon während meiner Ausbildung Geburtsvorbereitungskurse leiten müssen, und dabei hatte immer die vorwurfsvolle Frage der Kursteilnehmerinnen im Raum geschwebt: haben Sie denn selber schon Kinder geboren?  Nun konnte ich beweisen, daß meine vielgepriesenen Techniken  von Atmung und Entspannung wirklich den Schmerz linderten. Ein paar Unangenehme Minuten gab es zwar, ein Gefühl, als ob einem scharfe Messer den  Bauch und den Rücken durchschneiden, das faszinierendste dabei war aber, daß bei all meiner Unsicherheit, mein Körper genau zu wissen schien, was er zu tun hatte. Ich konnte alles getrost ihm überlassen, ein uralter Instinkt und ein Automatismus regelten den ganzen Vorgang und ich mußte mich dem einfach überlassen. Offen blieb allerdings die Frage: Wozu braucht man bei einer Entbindung immer das kochende Wasser, das in vielen Filmen dann immer herbeigeschafft wird.

 

In den ersten Monaten meiner Mutterschaft hatte ich reichlich zu tun: die letzten Umzugskartons mußten ausgepackt werden, die Buchführung unseres kleinen Betriebes, und das Versorgen eines Säuglings, viele Besucher meldeten sich an, schließlich wollte jeder das Kind mal sehen. Als uns noch eine weitere Konzession inklusive Auto angeboten wurde, entschieden wir, diese auf meinen Namen als Betrieb anzumelden. Ich packte Marlen in einen Prenataltragesack und verbrachte viele Stunden im Polizeipräsidium Referat Taxi- und Konzessionsangelegenheiten. Um mich herum saßen dickbäuchige, hartgesottene Berliner Taxiunternehmer, die offensichtlich kopfschüttelnd den Niedergang des Gewerbes beklagten, da nun schon Mütter mit kleinen Babys Betriebe führten. Im Rahmen der Emanzipation  machte es mir großen Spaß, in diese Männerdomäne einzudringen, und in der Warteschlange bei der Taxiinnung fachmännisch über die neuesten Tarife, die Vorteile der einzelnen Funkanbieter und die Unzuverlässigkeit der Fahrer zu diskutieren. So hatte ich von nun an zwar die doppelte Arbeit mit der Buchhaltung, aber, selbst Unternehmerin zu sein gab mit ein Gefühl von Stolz und Unabhängigkeit.